Der Widerspruch in der Bibel, der einen evangelikalen Religionswissenschaftler den Glauben verlieren ließ.

Bart Ehrman ist Religionswissenschaftler und einer der bekanntesten Religionskritiker unserer Zeit. Mal bezeichnet er sich als Atheisten, mal als Agnostiker. Aber er war vormals ein gläubiger evangelikaler Christ.

Was ist passiert?

Nach eigenen Angaben war es der folgende Bibeltext aus Markus2:25-26, der ihn auf den Weg hin zum Abfall vom Christsein gebracht hat.

Und er sagt zu ihnen: Habt ihr nie gelesen, was David tat, als er Mangel litt und hungrig war, er und seine Gefährten? Wie er in das Haus Gottes hineinging zur Zeit des Hohen Priesters Abiatar und die Schaubrote ass, die niemand essen darf ausser den Priestern, und wie er auch seinen Gefährten davon gab?

Andererseits steht in 1. Samuel 21:2-5 (hier etwas gekürzt):

Und David kam nach Nob zu Achimelech, dem Priester. Und David sagte zu Achimelech, dem Priester: Hast du fünf Brote zur Hand? Gib sie mir oder was sich sonst findet. Daraufhin sagte der Priester zu David: Ich habe kein Brot zur Hand, das nicht heilig wäre; es ist nur heiliges Brot da. Da gab der Priester ihm heiliges Brot, denn es gab dort kein Brot ausser dem Schaubrot, das vor dem Angesicht des HERRN entfernt wird, damit man frisches Brot hinlegt an dem Tag, an dem es weggenommen wird.

Habt Ihr es bemerkt? Im Markus-Evangelium heißt der Hohe Priester Abiatar, und bei Samuel heißt er Achimelech. Was geht hier vor sich? Abiatar war der Sohn des Achimelech (1 Samuel 22:20), und folgte seinem Vater in der Position des Hohe Priesters. Hier liegt augenscheinlich ein Widerspruch zwischen den beiden Texten vor.

Die einfache Auflösung

Schauen wir noch einmal den Text im Markus-Evangelium genauer an. Dort heißt es „zur Zeit des Hohen Priesters Abiatar“, aber nicht dass David vom Hohen Priester Abiatar die Schaubrote erhielt. Beide Männer waren hintereinander Hohe Priester. Es handelt sich um dieselbe Zeitperiode in der Geschichte Israels. Kein Widerspruch! Alles ist gut.

Ist es das? Nicht so voreilig…

Für Laien mag diese Erklärung ausreichen. Ein Religionswissenschaftler wie Bart Ehrman würde sie uns um die Ohren knallen und in der Luft zerreißen, und das zu Recht.

Um das Problem in der Tiefe zu begreifen, müssen wir uns kurz den griechischen Text anschauen. In den ältesten und zuverlässigsten Handschriften sieht er so aus:

πῶς εἰσῆλθεν εἰς τὸν οἶκον τοῦ Θεοῦ ἐπὶ Ἀβιάθαρ ἀρχιερέως

Das heißt übersetzt, „wie er in das Haus Gottes hineinging als Abiatar Hoher Priester war“. Da steht nichts von „zu der Zeit“. Die griechische Syntax ist eindeutig, dass die Handlung stattfand als Abiatar Hoher Priester war.

Das ist aber nur in diesen wenigen sehr alten Handschriften der Fall. In allen neueren Handschriften gibt es durchgängig drei Buchstaben mehr im Griechischen. Nun schaut es dort so aus:

πῶς εἰσῆλθεν εἰς τὸν οἶκον τοῦ Θεοῦ ἐπὶ Ἀβιάθαρ τοῦ ἀρχιερέως

Und das heißt übersetzt, „wie er in das Haus Gottes hineinging zur Zeit des Hohen Priesters Abiatar“.

Es deutet bereits darauf hin, dass dort beim Abschreiben ein Fahler passiert ist. Bei solchen textkritischen Problemen lohnt es sich, in die Schriften der Kirchenväter zu schauen.

Die Lösungsversuche der Kirchenväter

Johannes Chrysostomos erkannte das Problem in der Tat, und löste es mit der Annahme, das Achilemech den Beinamen Abiatar trug.

Johannes Chrysosthomos

Hieronymus erkannte das Problem ebenfalls, und vermutete, dass Markus die Aussagen Jesu dem Sinn nach wiedergab, und nicht dem genauen Wortlaut nach.

Beide Erklärungen taugen nicht viel, zeigen aber, dass das Problem schon früh bekannt war. Das ist ein weiterer Hinweis darauf, dass die früheren Handschriften richtig liegen.

Die meisten Bibelübersetzungen folgen allerdings den späteren Handschriften. „Zur Zeit des Hohen Priesters Abiatar“ finden wir in Luther, Einheitsübersetzung, Schlachter, Menge, Zürcher Bibel, Hoffnung für Alle und in der NGÜ. „Zur Zeit Abiatars des Hohen Priesters“, also eine andere Wortstellung, wird von der Bruns-Bibel und der Elberfelder Bibel verwendet. Die NEÜ umschreibt es mit „als der Hohe Priester Abiatar lebte“, was ebenso eine Variante der späteren Handschriften ist.

Die einzigen Übersetzungen, die den frühen Handschriften folgen, sind die Basis-Bibel und die Gute Nachricht, die es als kommunikative Übersetzungen umschreiben, sowie das sehr wortgetreue Münchner Neue Testament: „unter Abiatar, dem Hochpriester“.

Die richtige Auflösung

Versuchen also hier die Bibelgesellschaften etwa, das Problem zu verschleiern? Ich denke nicht. Denn es reicht nicht aus, die griechische Grammatik zu betrachten. Man muss die jüdische Tradition hinzuziehen. Zur Zeit Jesu gab es im Alten Testament keine Kapitel und Verse. Es war ein langer durchgehender Text auf einer langen Schriftrolle. Einzelne Abschnitte wurden nach Personen oder Ereignissen benannt.

Wir finden noch weitere solche Beispiele in der Bibel, zum Beispiel in Markus 12:26:

Was aber die Toten betrifft, wenn sie auferweckt werden – habt ihr nicht gelesen im Buch des Mose, in der Geschichte vom Dornbusch, wie Gott zu ihm gesagt hat: Ich bin der Gott Abrahams und der Gott Isaaks und der Gott Jakobs?

Im griechischen Urtext steht dort wörtlich „im Buch des Mose im Dornbusch“. Das gab den Zuhörern an, wo in den Büchern des Mose dieses Ereignis zu finden ist.

Wir finden Beispiele auch in außerbiblischen jüdischen Texten wie in der Mischna:

Wer seine Schuld bekennt, wird einen Teil der kommenden Welt haben; denn so finden wir in Achan, dass Josua zu ihm sagte: Mein Sohn, gib dem Herrn Ehre.

Ein Buch Achan gibt es nicht. Die Geschichte von Achan steht im Buch Josua. So wussten die Zuhörer, wo im Buch Josua sie nachschauen mussten.

Das Gleiche ist auch der Fall, wenn Jesus vom Hohen Priester Abiatar spricht. Er weist seine Zuhörer darauf hin, wo im Alten Testament die Geschehnisse zu finden sind, nämlich in der Passage über den Hohen Priester Abiatar. Wenn die deutschen Bibelübersetzungen dies übersetzen mit beispielsweise „zur Zeit des Hohen Priesters Abiatar“, dann erfasst das den Sinn sehr gut.

Und diesmal wirklich: Es liegt kein Widerspruch vor. Alles ist gut. Bart Ehrman ist mit einem falschen Verständnis der Irrtumslosigkeit der Bibel an die Sache herangegangen. Für ihn waren solche Erklärungen wie diese nicht mit der Irrtumslosigkeit vereinbar.

Lasst Euch nicht kirre machen, wenn Atheisten und Bibelkritiker behaupten, sie hätten ellenlange Listen von Bibelwidersprüchen. Es gibt für alle davon gute und logische Erklärungen. Der Konflikt mit Abiatar und Achilemech ist dabei eines der schwierigsten und kompliziertesten Beispiele. Die meisten anderen sind im Vergleich Kinderkram, und kein Grund die Wahrheit der Bibel anzuzweifeln.

Ihr könnt gerne Wünsche für die zukünftige Aufklärung von angeblichen Bibelwidersprüchen in die Kommentare schreiben.

Quelle: Daniel Wallace

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